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Hausgeist

Hausgeist

Kapitel 1

Meine Eltern starben bereits kurz nach meiner Geburt, daher kann ich nicht behaupten dass ich ihnen in irgendeiner Weise nachgetrauert hätte. Schließlich habe ich sie nie gekannt. Auf den Fotos sah ich immer nur zwei fremde Personen, nicht meine Eltern. Ich hatte einfach keine, es gab nur mich und meinen Onkel.
Ich lebte mit ihm in einer alten Villa, die er sich von seinem Geld als gefeierter Autor gekauft hatte. Sie wurde im 17. Jahrhundert erbaut und stand unter Denkmalschutz. Dazu gehörten ein kleiner Park, in dem man Kirschen und Äpfel stibitzen konnte, wenn die Zeit dafür reif war. Um das gesamte Grundstück unterhalten zu können hatte mein Onkel ein paar Dienstmädchen, Köche und Gärtner eingestellt. Ein Dienstmädchen, Roberta, ging auf die 50 zu, eine ruhige, alte Dame, die sich jedoch sehr um mich bemühte und die ich sehr gern hatte. Manchmal, wenn mein Onkel es mit seinem Tadel übertrieb, schimpfte sie mit ihm und er hörte auf.
Er war ein sehr strenger Vater, dennoch weiß ich, dass er es immer nur gut gemeint hatte und mich sehr liebte, er brachte mir mit besonderer Härte das Klavier und Geigenspiel bei, wenn ich jedoch ein Stück fehlerlos spielte war er sehr stolz auf mich und lobte mich in den höchsten Tönen. Da er, wie mein Vater, in Finnland geboren wurde, gab es ein paar seltsame Sitten in unserem Haus, die den Alltag bestimmten. Einmal in der Woche mussten alle Bewohner in die Sauna, als erstes ich und mein Onkel, danach alle Bediensteten die an unserer Villa angestellt waren. Und dann gab es noch einen letzten Aufguss, in dem die Sauna nicht betreten werden durfte, bis diese vollkommen abgekühlt war.
Wenn ich fragte weshalb, bekam ich immer eine verwirrende Antwort:
„Wir müssen doch den Hausgeist bei Laune halten!“
Als ich noch klein war, glaubte ich ihm diese Geschichten sogar. Ich stellte mir vor das wir zu dritt in diesem Hause waren und der Geist mir zuhörte wenn ich Klavier oder Geige spielte. Manchmal schlich ich mich nachts hinunter in die Küche und stibitzte Brot und Schinken um dem Hausgeist ein karges Mahl im Esszimmer bereitzustellen. Am nächsten Morgen war davon nichts mehr zu sehen, doch ich glaube dass die Bediensteten alles aufgeräumt hatten, ehe mein Onkel davon erfuhr.
Aber Zeiten ändern sich und mein Onkel starb, plötzlich und unerwartet, an einem Schlaganfall. Auf einmal erschien mir das Haus so groß und leer und mit ihm war auch der Hausgeist in mir gestorben.
Es kamen Leute in die Villa, fremde Leute, die ich nie gesehen hatte, die aber behaupteten irgendwie mit meinem Onkel verwandt zu sein und mir ihr Beileid bekundeten. Doch hinter meinem Rücken lachten sie, sie lachten meinen Onkel aus! Mir wurde sehr kalt, die Leute, die Wände, alles um mich herum schien eine so grausame Kälte auszustrahlen, wie ich sie noch nie erlebt hatte.
Da ich noch 17 war übernahm Roberta mein Sorgerecht und zwei Tage später wurde das Testament meines Onkels verlesen. Zu diesem Zweck wurde eine Tafel im Ballsaal aufgestellt und reichlich gedeckt. Die Fremden speisten und unterhielten sich darüber wer wohl das meiste Geld erben würde. Ich bekam keinen Bissen runter, wenn auch der Lachs auf meinem Teller so verführerisch duftete. Über die Speisen hinweg, auf der anderen Seite des langen Tisches saß der alte Mann, der das Testament meines Onkels vorlesen wollte. Ich fragte mich wie er nur in aller Ruhe essen konnte? Schließlich schienen diese Menschen ihn zu umkreisen, wie hungrige Geier! Nach langer Zeit erhob sich dieser Mann und stieß mit einem kleinen Löffel an sein Glas um für Ruhe zu sorgen. Anschließend verlas er das Testament, doch ich saß zu weit weg um seine brüchige Stimme verstehen zu können.
Mit einem Mal war alles Stumm, dann brach ein lauter Streit aus und zwischen den ärgerlichen Sätzen immer ein Name: Katarina
Ich verstand erst nicht. Katarina? Wer ist das?
Alle Augen waren auf einmal auf mich gerichtet und mir wurde Kalt, sehr, sehr Kalt.


Kapitel 2

Als ich an diesem Abend einschlief hatte ich einen sehr merkwürdigen Traum. Er handelte von dem Abend, als ich das erste Mal „Der Tod und das Mädchen“ fehlerlos auf dem Flügel spielte. Mein Onkel sah mich über das lackierte Holz hinweg an und ich glaube ihm standen Tränen in den Augen. Doch da war noch jemand im Raum, etwas Abseits, in einer Ecke stand ein junger Mann, mit braunen Locken und altertümlicher Kleidung, der mir aufmunternd zunickte. Dann war mein Onkel verschwunden, der Raum verschwand und es wurde wieder Kalt.
     
Die Gäste sollten noch eine Woche in der Villa bleiben und meinem Onkel die letzte Ehre erweisen. Am ersten Tag frühstückte ich noch mit den Leuten, die, ob ich wollte oder nicht, nun meine Gäste waren. Doch die Gier in ihren Blicken veranlasste mich dazu die nächsten Tage mein Zimmer nicht zu verlassen und ein nettes Hausmädchen musste mich bei den Anderen Entschuldigen.
Als jedoch der Tag der Abreise kam, blieb mir als Gastgeberin nichts anderes übrig als bei der letzten Mahlzeit mit den Geiern an einem Tisch zu sitzen. Ich wurde von allen Seiten begafft, sie versuchten mich in unverfängliche Gespräche zu verwickeln und machten mir Komplimente, sie taten besorgt, da sie dachten meine Trauer um meinen Onkel hätte mich die Tage im Zimmer festgehalten und je mehr Leute sich bei mir einschleimten, desto übler wurde mir. Plötzlich war da wieder… diese Kälte. Die dickere Dame, die sich gerade über mein Befinden erkundigte schien es auch zu spüren, sie fröstelte und zog die Strickjacke enger.
Und dann geschah es: Der riesige Wandteppich, der die gesamte rechte Seite des Saales bedeckte, löste sich aus seiner Halterung und begrub uns unter sich, gleichzeitig gingen alle Lichter aus. Durch den Krach alarmiert kamen die Diener sofort angerannt, halfen uns, unter dem Stoff hervor zu kriechen und zündeten Kerzen an. Meine Gäste brachen überstürzt auf, und in der Villa brach wieder vorübergehend Ruhe ein.

Ich ließ die Halterung des Teppichs untersuchen, die Stahlhaken waren nicht gebrochen und auch die Wand war unbeschädigt. Es hätte also jemand mit einer Leiter hinaufsteigen und den Wandbehang lösen müssen, aber diese Theorie hatte zwei Fehler: Erstens, es war unmöglich ungesehen dorthin zugelangen, schließlich war der Saal zu der Zeit voll. Und außerdem war der Teppich so schwer, selbst ein professioneller Gewichtheber könnte ihn nicht anheben.
Diese Geschichte brachte natürlich die Gerüchteküche im Personal zum brodeln. Die verschiedensten Theorien waren zu hören, darunter die, dass der Hausgeist erbost war darüber, dass die Gäste sich so aufdringlich, mir gegenüber verhalten hatten.
Ich widersprach ihnen nicht, ich drehte mich nicht um, um ihnen zu erklären: ‚Hört auf damit, es gibt keinen Hausgeist!’, ich blieb stumm, da ich es verwerflich fand die Lösungen meines Personals abzulehnen, obwohl ich doch selbst nicht wusste was vorgefallen war.  
Mir fiel auf, dass ich in der Zeit, in der meine Gäste da waren, ich nicht mehr auf dem Klavier gespielt hatte, und aus Angst, alles wieder zu verlernen, setzte ich mich mit einem Stapel Noten in das Klavierzimmer. Allerdings hütete ich mich davor „Der Tod und das Mädchen zu spielen, da es mich zu sehr an meinen Traum erinnern würde.
Erst tat ich mich noch etwas schwer dem Klavier die Töne zu entlocken, da meine Gelenke wie eingerostet schienen, doch nach einer Weile spielte ich die alten Lieder mit der bekannten Routine. Als ich gerade ein Stück aus „La Traviata“ zum besten geben wollte, spürte ich die vertraute Kälte wieder, ich schloss kurz die Augen und als ich sie wieder öffnete, schien sich der Raum irgendwie verändert zu haben, ich wusste nur nicht wie! Es wurde mir unheimlich, und ich ging so schnell wie möglich in mein Zimmer zurück.


Kapitel 3

Ich erinnere mich noch an die unzähligen Geburtstage, Weihnachten und Osterfeste an denen ich lustlos meine Geschenke öffnete, die mein Onkel über ein Dienstmädchen überbringen ließ, da er arbeiten musste. Wieso hätte ich mich über eines dieser Päckchen freuen sollen? Ich wusste schon was in diesen kunstvoll und doch seltsam unpersönlichen Kisten steckte: Ein Tagebuch aus braunem Leder, in dem mein Name mit goldenen Lettern eingestanzt war. Zweifellos hatten diese Bücher einen großen Wert, jedoch wusste ich dass er es mir nur schenkte, damit ich meinen Ausdruck und meine Schönschrift verbesserte. Ein paar mal habe ich auch versucht regelmäßig die Seiten zu füllen, gab es jedoch schnell wieder auf, da entweder nichts Nennenswertes geschah, oder die Gedanken, die ich festhalten wollte, fort sprangen, ehe ich die Tinte aufs Papier bringen konnte.
In den letzten Wochen geschah nun aber so viel, dass mein Kopf nicht in der Lage schien es verarbeiten zu können. An Roberta konnte ich mich nicht wenden, selbst jetzt wo sie meine Erziehungsberechtigte war, schließlich hatte sich seit der Verlesung des Testaments unser Verhältnis so weit geändert, dass sie mir nun einen Respekt entgegen brachte, wie sie ihn nur gegenüber meinem Onkel geäußert hatte. Sie war nun voll und ganz Dienstmädchen… und ich wusste wie ich mich als Hauseigentümerin zu verhalten hatte und was meine Pflichten waren.
Täglich um sieben wurde ich geweckt, man half mir beim ankleiden (obwohl ich das auch alleine konnte! Ich trage schließlich keine Krinolinen oder Reifröcke.), man frisierte mir die Haare und schüttelte mir die Betten frisch auf. Eine Stunde später saß ich alleine an der reich gedeckten Frühstückstafel und obwohl ich jeden Morgen nur eine Tasse Tee trank, ein Ei und ein trockenes Toast aß, wurde die Prozedur Tag für Tag wiederholt.
Nach dem Frühstück war es mir nicht gestattet in mein Zimmer zu gehen, da es immer für eine Stunde komplett gereinigt wurde. Früher nutzte ich diese Zeit um am Klavier zu üben, aber nun war Niemand der mich prüfen wollte und das unheimliche Gefühl welches mich im Klavierzimmer eingeholt hatte, tat sein übriges.
Mein Onkel war immer in sein Arbeitszimmer verschwunden… Neugier überkam mich, es war mir nie gestattet diesen Raum zu betreten, doch nun gehörte diese Villa mir und ich konnte über die Schwelle treten, oder?
Vor der geschnitzten Holztür blickte ich noch einmal nach links und rechts, entdeckte jedoch niemanden und schlüpfte schnell hinein. Aber da war schon jemand.

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